
(Quelle: Hans Hartz, Stadtarchiv Kiel, CC-BY-SA DE 3.0)
Dunkle Banner mit Pflug und Schwert wehten vor 90 Jahren an Schleswig-Holsteins Deichen – die Landvolkbewegung der Bauern machte mobil. Sie kämpfte zunächst gegen Verteuerung und die schlechter werdenden Arbeitsbedingungen auf dem Land. Doch unter ihrer Flagge wurde schließlich im Norden der Boden für das Dritte Reich bereitet. – Von Florian Tropp
Die Bilder sind einprägsam: Landwirte rollten dutzendweise im Juni 2020 mit ihren Treckern über einen frisch gemähten Acker, unweit von Oldenswort im Amt Eiderstedt. Wohl orchestriert stellten sie sich auf, langsam wurde es dunkel. Nur aus der Luft und erst, als sie ihre Warnleuchten flackern ließen, wurde das ganze Bild deutlich.[1]
Die Fahrzeuge bildeten einen Pflug, durchkreuzt von einem Schwert. Ergänzend dazu formten sie die Initialen ihres Bundeslandes. Ein eindrucksvolles Bild. Aber eines, das vor allem Fragen aufwarf. Denn das Symbol war der Landvolkbewegung entlehnt, die im Land zwischen den Meeren einen berühmt-berüchtigten Ruf besitzt. Seit den 1920er Jahren flatterte die Fahne immer wieder in den ländlichen Gegenden Schleswig-Holsteins. Welcher Geist wohnt ihr inne?
(Quelle: JP Agrar)
Damals wie heute regt sich Unmut in der Agrarwirtschaft. Die Landwirte des Jahres 2020 fühlen sich gegängelt von Vorschriften und verspüren wenig Wertschätzung für ihre Arbeit durch die Verbraucher. Sichtbares Zeichen dafür sind die Grünen Kreuze. An diversen deutschen Landstraßen machen diese derzeit auf den Protest vom Lande aufmerksam.
Die wirtschaftliche Lage auf dem Land war vor fast hundert Jahren noch viel prekärer: Der Erste Weltkrieg und die Inflation in der jungen Weimarer Republik trafen die Bauern im Norden hart. Dazu kam ein technischer Rückstand im globalen Vergleich, Tierseuchen und Naturkatastrophen, die zu häufigen Missernten führten. Vom Ersten Weltkrieg erholte sich die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein nur langsam, der Viehbestand erreichte erst 1927 das Vorkriegsniveau.[2]
Die Landvolkbewegung begann folglich als Protestbewegung gegen ökonomische Missstände. Insbesondere die Besteuerung der Angestellten im Agrarsektor rief Unverständnis hervor. Bald regte sich Widerstand gegen Steuerbeamte, Zwangsversteigerungen wurden konsequent gestört, zumeist hatte der Zivile Ungehorsam Erfolg. Dabei war die Widerstandsbewegung ein informeller Zusammenschluss, ohne eine klar definierte Hierarchie oder Struktur.
Am 28. Januar 1928 kam es zu einer unübersehbaren Machtdemonstration im Norden: Insgesamt 140.000 Bauern versammelten sich in den Städten Schleswig-Holsteins, speziell an der Westküste. So etwa 8.000 von ihnen in Husum und 10.000 in Heide, wo die Landwirte die Welt ihre Forderungen hören ließen: Die deutsche Wirtschaft solle autarker werden, der Staat möge den Bankensektor stärker regulieren und, nicht zuletzt, wurde eine „Stärkung des Deutschgefühls“ postuliert.[3] Die Bewegung der Wutbauern nahm erst richtig Fahrt auf.
Wilhelm Hamkens und Claus Heim sollten sich an ihre Spitze stellen. Beide waren politisch zuvor im Stahlhelm aktiv gewesen, einem republikfeindlichen Bund, der eng mit der nationalistischen Reichstagspartei DNVP verbunden war. Allmählich traten wirtschaftliche Forderungen in den Hintergrund, wichtiger wurden umso mehr gesellschaftspolitische Aspekte, mit einer unübersehbaren antipluralistischen, antiliberalen, völkischen und vor allem antisemitischen Stoßrichtung. Schnell war die Bewegung eng verbandelt mit zahlreichen rechtsradikalen Gruppen wie Stahlhelm, Artamanen, Tannenbergbund und der Organisation Consul, auf deren Konto mehrere politische Morde gingen.
Broschüren, die damals auf Versammlungen verteilt wurden, ließen wenige Fragen über das Feindbild der Bewegung offen: „Das Landvolk – kämpft gegen das jüdisch-parlamentarische System, also gegen diese Korruption und Kadavergehorsam, die Bruder- und Klassenkämpfe auslösen, kämpft gegen alle Verträge und Bindungen, die es wirtschaftlich vernichten und an das internationale Großkapital ausliefern.
Das Landvolk – bildet eine geschlossene Front Deutscher Frauen und Männer, ohne organisatorische Bindung, als Schicksalsgemeinschaft wie 1914; verweigert nach wie vor diesem System und seinen Handlangern jede Mitarbeit, von ihm geschlossene Verträge erkennt es nicht an […]. Dazu helfe uns Gott! Lewwer duad üs Slaav!“[4]

(Quelle: Stadtarchiv Neumünster)
Juristische Folgen hatten die Aktivisten für derlei Ausfälle zunächst kaum zu befürchten, auch wenn der Staat zahlreiche Anklagen erhob. Dies betraf insbesondere Taten der Volksverhetzung: Im September 1929 wurden die drei Landwirte Guth, Peters und Wallichs wegen dieses Straftatbestandes vor dem Kieler Schöffengericht angeklagt.
Guth und Peters hatten auf einer Veranstaltung der Bauern im Dezember 1928 der jüdischen Bevölkerung in Deutschland „Tod und Verderben“ gewünscht bzw. die Weimarer Demokratie als „Judenrepublik“ geschmäht. Als einziger verurteilt wurde aber Wallichs, der – vergleichsweise harmlos – den Autoritäten gedroht hatte, man wolle ihnen künftig die „Bauernfaust zeigen.“[5]
Eine ähnliche Rhetorik fand sich in Publikationen, die den Kampf der Bauern instrumentalisierten und ihre politischen Ziele umrissen. Vor allem in diversen extra hierfür gegründeten Zeitungen wurde über die rebellierende Landbevölkerung berichtet. Eines der ersten Bücher über sie verfasste 1929 Peter Petersen, unter dem Pseudonym Jürgen Schimmelreiter. Petersen, damals bereits begeisterter Nationalsozialist und noch nach dem Krieg Landtagsabgeordneter der NPD, schrieb in seinem Werk „Unter der schwarzen Bauernfahne“, der Kampf des Landvolks sei „ein heiliger Krieg für Blut und Boden.“[6]
Das finstere Banner löste am 1. August 1929 gar eine Straßenschlacht aus, als die Polizei ebenjenes beschlagnahmen wollte: Eine Masse von 2000 Landwirten begrüßte Hamkens in Neumünster, wo er eine kurze Haftstrafe abgesessen hatte und nun wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Die schwarze Fahne der Aktivisten war an einer Stange befestigt, an deren Spitze eine Sense steckte, weswegen die Staatsmacht sie als Gefahr erachtete. Der Versuch, ihrer habhaft zu werden, ging nicht ohne massive Handgreiflichkeiten und Blutvergießen vonstatten.[7]
Der Widerstand der Landwirte wurde immer militanter. Ihre Hoffnung, dass in Berlin ihr Protest gehört würde, blieb unerfüllt. Also bunkerten Bauern im Geheimen Sprengstoff, um dem Staat gegenüber ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Kurz darauf knallte es in vielen Städten Schleswig-Holsteins. Acht größere Sprengstoffanschläge verübten Heim und seine Anhänger auf Verwaltungsgebäude zwischen Mai und September 1929. Es glich einem Wunder, dass niemand zu Schaden kam.
Ihren Höhepunkt hatte die Landvolkbewegung damit bereits überschritten. Heim und der Kreis um ihn wurde im August 1930 vor Gericht gestellt, nachdem sie durch eine Unaufmerksamkeit aufgeflogen waren. Paradoxerweise boten sowohl die NSDAP als auch die KPD Heim ein Reichstagsmandat an, dessen Immunität ihn geschützt hätte.[8] Er zog es vor zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe im Zuchthaus verurteilt zu werden, von der er aber nur knapp drei Jahre absitzen musste.
Die Inhaftierung der Köpfe der Landvolkbewegung erleichterte es aber der aufstrebenden NSDAP, das bäuerliche Milieu zu infiltrieren. Die lose Ansammlung der Bauern wurde von den straff organisierten Nationalsozialisten schnell aufgesogen, die politische Nähe war ohnehin offenkundig. So erhielt die NSDAP bei der Reichstagswahl im Juli 1932 die absolute Mehrheit in Schleswig-Holstein. Es war die erste Provinz des Reichs, in der ihr dies gelang. Die zahlreichen Bauernbewegungen in ganz Deutschland wurden nach der „Machtergreifung“ alsbald gleichgeschaltet und gingen im Reichsnährstand auf. Zwischen 1933 und 1937 wurde das Reichserntedankfest auf dem Bückeberg bei Hameln zelebriert, das medienwirksam den Zusammenschluss von Partei und Bauernschaft in Szene setzte.
Die Fahne mit Pflugschar und Schwert waberte auch nach dem Krieg immer wieder einmal durch die Geschichte Schleswig-Holsteins. So gab es in den 1960er Jahren noch ein Wiederaufflackern der Bewegung, als die nächste Generation norddeutscher Landwirte Mitte der 1960er Jahre auf sich aufmerksam machte. Die neu gegründete Landvolkpartei verlor sich aber schon bei ihren ersten Versammlungen in „konfusen Bierreden der Bauernsprecher“[9], wie der Spiegel es 1963 ausdrückte. Es blieb bei Symbolpolitik, Bomben flogen diesmal nicht.
Wann aber tauchte die schwarze Flagge wieder in der Gegenwart auf? Erstmals im Herbst 2019 wurde die Presse auf das markante Symbol aufmerksam, bei einer Demonstration von Landwirten in Oldenburg führten Demonstrierende das Banner der Landvolkbewegung mit sich.[10]
Der eingangs erwähnte Trecker-Aufmarsch im Sommer 2020 war dann ein Höhepunkt des Revivals der Symbolik aus der nationalistischen Mottenkiste. Heutige Träger der Fahne der Landvolkbewegung haben versucht ihre Nutzung mit der Opposition ihrer Anführer zu den Nationalsozialisten zu rechtfertigen. Ihr Widerstand speiste sich aber einzig aus dem Versuch, den autonomen Stand der Landvolkbewegung zu bewahren, nicht aus einem programmatischen Gegensatz. Denn wirtschaftliche Autarkie, Zerstörung der Demokratie und die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung waren elementare Ziele der NS-Bewegung.
Wie lange die schwarze Fahne noch geschwenkt werden wird, bleibt offen. Angesichts der verheerenden Außenwirkung sahen sich im September Bauernverbände zu Stellungnahmen genötigt. Von der weiteren Nutzung wurde explizit abgeraten.[11]
Literatur
- Landvolkbewegung. Der Väter Kampfnatur. In: Der Spiegel. Nr. 33. 1963. S. 36-38.
- Otto-Morris, Alexander. „Bauer, wahre dein Recht!“ Landvolkbewegung und Nationalsozialismus 1928/30. In: Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. (AKENS) (Hg.): „Siegeszug in der Nordmark“. Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus 1925-1950. Schlaglichter – Studien – Rekonstruktionen (Heft 50), Kiel. 2008. S. 54–73.
- Ders. Rebellion in the Province. The Landvolkbewegung and the Rise of National Socialism in Schleswig-Holstein. Frankfurt a. M. 2013.
- Schimmelreiter, Jürgen. Unter der schwarzen Bauernfahne. Die Landvolkbewegung im Kampf für Deutschlands Befreiung. München. 1929.
- Werner, Nils. Die Prozesse gegen die Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein 1929/1932. Frankfurt a.M. 2001.
[1] Siehe hier: https://www.shz.de/lokales/husumer-nachrichten/landvolk-symbol-nachgestellt-shitstorm-nach-bauern-protesten-id28629747.html, zuletzt aufgerufen am 15.09.20, 10.00 Uhr.
[2] Otto-Morris, Alexander. Rebellion in the Province. The Landvolkbewegung and the Rise of National Socialism in Schleswig-Holstein. Frankfurt a. M. 2013. S.39.
[3] Ebd. S. 57-59.
[4] Werner, Nils. Die Prozesse gegen die Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein 1929/1932. Frankfurt a.M. 2001.S. 18 f.
[5] Werner, Nils. Die Prozesse gegen die Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein 1929/1932. Frankfurt a.M. 2001. S. 121-123.
[6] Schimmelreiter, Jürgen. Unter der schwarzen Bauernfahne. Die Landvolkbewegung im Kampf für Deutschlands Befreiung. München. 1929. S. 42.
[7] Otto-Morris, Alexander. „Bauer, wahre dein Recht!“ Landvolkbewegung und Nationalsozialismus 1928/30. In: Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. (AKENS) (Hg.): „Siegeszug in der Nordmark“. Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus 1925-1950. Schlaglichter – Studien – Rekonstruktionen (Heft 50), Kiel. 2008. S. 54–73.
[8] Werner. Die Prozesse gegen die Landvolkbewegung. S. 60.
[9] Landvolkbewegung. Der Väter Kampfnatur. In: Der Spiegel. Nr. 33. 1963. S. 36-38.
[10]https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/oldenburg/geschichte/agrardemo-schwarze-bauernfahne-29261.html, zuletzt aufgerufen am 15.09.20, 10.00 Uhr.
[11] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Umstrittenes-Symbol-Bauernverband-gegen-Fahne,bauernfahne100.html, zuletzt aufgerufen am 15.09.20, 10.00 Uhr.