Zwischen Dänemark und Deutschland

Wahlkampf in Schleswig vor 100 Jahren: In einer Volksabstimmung durften die Bewohner an der heutigen Grenze entscheiden, zu welchem Staat sie gehören wollten: Dänemark oder Deutschland. Ein Streit mit langer Vorgeschichte, der heute nur noch auf einer Seite der Grenze erinnert wird. – Von Florian Tropp

Das Verhältnis von Dänen und Deutschen erscheint auf den ersten Blick entspannt. Deutsche fahren gerne zum Urlaub über die Grenze zum Besuch ihrer nördlichen Nachbarn, Dänen wissen den kostengünstigen Alkoholeinkauf südlich der Grenze zu schätzen.[1] Vor 100 Jahren sah das ganz anders aus.

„Gott wolle uns behüten, dass wir nicht werden Jüten!“ – „Nun geheißt Dänemark seinen Kindern: ‚Für immer Auf Wiedersehen, du deutscher Adler!‘“[2] Das waren damals die wenig freundlichen Parolen. Im Rahmen der Gebietsabtretungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg durften die Einwohner des ehemaligen Herzogtums Schleswig abstimmen, ob sie nun unter dänischer oder deutscher Hoheit leben wollten. Dabei hatte Dänemark im Krieg keinerlei Rolle gespielt.

Ein alter Konflikt

Vielmehr loderte in Schleswig ein jahrhundertealter Konflikt wieder auf. Der Adel der Herzogtümer Schleswig und Holstein hatte schon im Vertrag von Ripen 1464 erreicht, dass die Gebiete „auf ewig ungeteilt“ („up ewig ungedeeld“) sein mögen. Seitdem hatten Dänemarks Könige, mit nur kurzen Pausen, die Oberhoheit über den Großteil des heutigen Schleswig-Holsteins inne.

Der dänische Gesamtstaat erstreckte sich zu Beginn der Moderne somit über weite Teile des heutigen Bundeslandes Schleswig-Holstein, im Süden bis ins Herzogtum Lauenburg und Altona, heute Teil Hamburgs. Die Gruppe der sogenannten „Eiderdänen“, von nationalistischem Eifer getrieben, forderte Mitte des 19. Jahrhunderts eine Eingliederung Schleswigs in den dänischen Staat. Zwischen 1848 und 1851 hatte in Schleswig und Holstein darum ein Bürgerkrieg getobt, der mit der Festlegung des Status quo endete.

1863 forcierte die neue dänische Novemberverfassung die engere Anbindung Schleswigs an Dänemark. Die Folge war die Kriegserklärung Preußens und Österreichs, den führenden deutschen Mächten, an Dänemark. Nach einem kurzen Krieg im Jahr darauf musste Dänemark kapitulieren und seine Ansprüche auf die beiden Herzogtümer aufgeben.

Als Österreich aus dem Deutschen Bund ausschied, gliederte Preußen sich die Provinz Schleswig-Holstein an. Die Grenze zwischen dem neuen Deutschen Reich und Dänemark lag damit viel weiter nördlich als heute: Die Insel Rømø gehörte zum deutschen Territorium, Grenzfluss war nun Kongeå/ Königsau.[3] Zahlreiche dänische Schleswiger wurden zu Untertanen des deutschen Kaisers.

Von der deutschen Vergangenheit Nordschleswigs zeugen auch die immer noch zahlreichen Gedenksteine an dänischen Kirchen zur Erinnerung an Gefallene im Ersten Weltkrieg. Auch diese Angehörigen der dänischen Minderheit mussten im deutschen Heer Dienst tun. Etwa 30.000 von ihnen zogen ins Feld, 5000 kehrten nie zurück, weitere 4.500 als Invaliden.[4]

Deutschlands Schwäche, Dänemarks Chance

Nach Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg flammten 1918 die alten eiderdänischen Wallungen wieder auf. Die 14 Punkte des US-Präsidenten Woodrow Wilson forderten eine neue Grenzziehung in Europa auf Basis des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“.

Schon am 16./17. November 1918 kamen in Apenrade dänische Delegierte unter Führung von Hans Peter Hanssen zu einer Konferenz zusammen. Der Reichstagsabgeordnete war in Berlin der wichtigste Fürsprecher der Interessen der dänischen Minderheit im Deutschen Reich gewesen. In einer Resolution forderten die Anwesenden in Apenrade eine Abstimmung über Schleswigs nationale Zukunft. Einige der dort geforderten Punkte sollten zur Basis der Volksabstimmung von 1920 werden: Es sollten zwei Abstimmungszonen eingerichtet werden, eine nördliche (Zone I, Nord-) und eine südliche (Zone II, Mittelschleswig). In ersterer sollte im Ganzen für Dänemark oder Deutschland abgestimmt werden, in letzterer nach Landkreisen.

Die Einteilung der Zonen basierte auf Einschätzungen des dänischen Historikers Hans Victor Clausen. Anhand der Zahl der dänisch- bzw. deutschsprachigen Bewohner eines Landkreises, klassifizierte er bereits 1891 dessen mögliche staatliche Zugehörigkeit im Falle einer neuen Grenzziehung. Die von Clausen empfohlene Grenze entsprach tatsächlich derjenigen, wie sie heute noch zwischen Dänemark und Deutschland besteht.

Dänemark war im Ersten Weltkrieg neutral geblieben und erschien damit nicht gerade als „Siegermacht“. Dennoch gelang es der dänischen Regierung bei den Friedensverhandlungen in Versailles erfolgreich bei den Alliierten zu insistieren und die Schleswig-Holstein-Frage auf die Tagesordnung zu setzen.

Der dänische Außenminister Erik Scavenius übermittelte an Briten, Amerikaner und Franzosen die Bitte, die Wünsche der dänischen Bevölkerung innerhalb der deutschen Grenzen zu berücksichtigen, was letztlich auf eine Abstimmung hinauslief. Somit gelang es ihm, die Wünsche nach Grenzrevisionen in das Konzept des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ einzubetten.[5]

Showdown an der Förde

In Versailles wurde festgelegt, eine internationale Kommission mit der Beobachtung des Plebiszits zu beauftragen. Diese bestand aus Delegierten der Siegermächte sowie mehreren Diplomaten aus neutralen Ländern. Zudem rückten 400 französische Soldaten in die erste Abstimmungszone ein, um die ordnungsgemäße Abstimmung zu kontrollieren.

Letztlich kam es zur Festsetzung eines Referendums, ganz wie in der Erklärung von Apenrade gefordert. Zunächst hatte man seitens der Alliierten sogar eine von dänischen Nationalkonservativen geforderte dritte Abstimmungszone anvisiert: Diese hätte die Grenze etwa auf einer Linie zwischen Husum und Schleswig gezogen. Es blieb aber bei den zwei Zonen, mit Abstimmungsterminen am 10. Februar 1920 in Zone I bzw. 14. März in Zone II.

Deutsch-orientierte Schleswiger gründeten alsbald den „Deutschen Ausschuss“, der um Stimmen für Deutschland werben sollte. Zunächst war seine Leitlinie gewesen, die Abstimmung zu boykottieren, was selbstverständlich zu einer deutlichen dänischen Mehrheit geführt hätte. Dänische Aktivisten scheuten sich dagegen nicht davor, in den mittelschleswigschen Bezirken auf Stimmenfang zu gehen. Im Herbst 1919 folgten beispielsweise 40 bis 50 Personen der Einladung nach Norden und hörten sich pro-dänische Argumente an. In diesem Fall habe es, trotz Sympathien für Dänemark, „jedoch keinen Stimmungsumschwung“ gegeben.[6]

Die Abstimmung in Zone I, die ja en bloc über ihre nationale Zugehörigkeit abstimmte, ergab ein klares Bild: Drei von vier Wählern (74,39 %) votierten für Dänemark. Bei Abstimmungen nach Kommunen hätten sich einige deutsche Enklaven im dänischen Staatsgebiet ergeben: In Apenrade/Aabenraa und Sonderburg/Sønderborg stimmte die Mehrheit für Deutschland, ebenso in zahlreichen südlichen Regionen der Abstimmungszone.

Anders dagegen wäre es in Zone II möglich gewesen, dass einzelne Gemeinden an Dänemark gefallen wären. Jedoch stimmten sämtliche Kommunen für Deutschland, insgesamt sprachen sich vier von fünf Wählern (80,2 %) für den Verbleib bei Deutschland aus.

Auf deutscher Seite wurde – bereits nach der ersten Abstimmung – noch versucht einen Kompromiss zu erwirken und das Ergebnis zumindest in Teilen zu revidieren. Der deutsche Beamte Johannes Tiedje schlug eine neue Grenzziehung vor, die geringfügig weiter nördlich verlief als die Grenze, die zwischen den beiden Abstimmungszonen gezogen worden war. Die internationale Kommission signalisierte zunächst tatsächlich Dialogbereitschaft, final wurde der Vorschlag von den Alliierten aber abgeschmettert.[7]

In Dänemark kam es derweil zu einer schweren innenpolitischen Krise: Nationalkonservative Kräfte forderten eine noch weiter südlich verlaufende Grenze und fanden bei König Christian X. Gehör. Die linksliberale Regierung unter Ministerpräsident Carl Theodor Zahle kündigte aber die Respektierung der internationalen Beschlüsse an. Die anschließende Entlassung ebenjener Regierung und die Einsetzung einer neuen durch den König, riefen jedoch dermaßen großen Protest hervor, dass sich Dänemarks Königshaus seitdem allein mit seinen repräsentativen Aufgaben begnügt.

Von dänischer Seite wurde das Abstimmungsergebnis aber doch als großer Sieg mit nationalem Pomp gefeiert und zur „Wiedervereinigung“ („genforeningen“) deklariert. König Christian ritt am 10. Juli auf einem Schimmel durch einen Triumphbogen über die alte Grenze bei Kongeå/ Königsau und wurde von Tausenden Dänen gefeiert.[8] Am Tag darauf fand nahe den Düppeler Schanzen, wo die Dänen 1864 auf dem Schlachtfeld die entscheidende Niederlage hatten hinnehmen müssen, die zentrale Feier der Eingliederung statt.

Es zeigte sich jedoch, dass sich die Brisanz um die neue Nordgrenze Deutschlands schnell legte – vor allem im Vergleich zur Ostgrenze. Weder in der Weimarer Republik, noch unter den Nationalsozialisten, erfolgte jemals die offizielle Forderung nach einer Grenzrevision, nicht einmal während der Besatzungszeit. Anders als Belgier oder Niederländer formulierte die dänische Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg auch keine Annexionspläne von deutschem Territorium. Ministerpräsident Vilhelm Buhl erklärte 1945 lapidar: „Dänemarks Grenze liegt fest.“[9]

Seitdem hat man sich beiderseits der Grenze mit den jeweiligen nationalen Minderheiten arrangiert. Die Erinnerung an die Volksabstimmung ist aber nur noch in Dänemark bedeutend: Zum 100. Jahrestag der Vorgänge sind zahlreiche Feierlichkeiten geplant, die sich über das gesamte erste Halbjahr 2020 erstrecken.[10]

Literatur:

  • Boie, Jenni. Volkstumsarbeit und Grenzregion. Volkskundliches Wissen als Ressource ethnischer Identitätspolitik in Schleswig-Holstein 1920-1930. Münster. 2013.
  • Jebsen, Nina. Als die Menschen gefragt wurden. Eine Propagandaanalyse zu Volksabstimmungen nach dem Ersten Weltkrieg. Münster. 2015.
  • Khan, Daniel-Erasmus. Die deutschen Staatsgrenzen. Rechtshistorische Grundlagen und offene Rechtsfragen. Tübingen. 2004.
  • Lehmann, Hans Dietrich. Der „Deutsche Ausschuss“ und die Abstimmung in Schleswig 1920. Neumünster. 1969.
  • Schlürmann, Jan. 1920. Eine Grenze für den Frieden. Die Volksabstimmung zwischen Deutschland und Dänemark. Kiel. 2019.

[1] https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/wirtschaft/keine-loesung-im-deutsch-daenischen-dosenbier-dilemma-in-sicht-id20675102.html, zuletzt aufgerufen am 25. Januar 2020, um 14.00 Uhr.

[2] Jebsen, Nina. Als die Menschen gefragt wurden. Eine Propagandaanalyse zu Volksabstimmungen nach dem Ersten Weltkrieg. Münster. 2015. S. 85. // https://www.europeana.eu/portal/de/record/92023/images_billed_2010_okt_billeder_object154910.html, zuletzt aufgerufen am 25. Januar 2020, um 14.00 Uhr.

[3] Boie, Jenni. Volkstumsarbeit und Grenzregion. Volkskundliches Wissen als Ressource ethnischer Identitätspolitik in Schleswig-Holstein 1920-1930. Münster. 2013. S. 42.

[4] Schlürmann, Jan. 1920. Eine Grenze für den Frieden. Die Volksabstimmung zwischen Deutschland und Dänemark. Kiel. 2019. S. 73.

[5] Ebd. S. 107.

[6] Lehmann, Hans Dietrich. Der „Deutsche Ausschuss“ und die Abstimmung in Schleswig 1920. Neumünster. 1969. S. 125.

[7] Schlürmann. 1920. Eine Grenze für den Frieden. S. 159.

[8] Für Filmaufnahmen jener Szene siehe: https://www.youtube.com/watch?v=tYkUUlMl2CU, zuletzt aufgerufen am 25. Januar 2020, um 14.00 Uhr.

[9] Khan, Daniel-Erasmus. Die deutschen Staatsgrenzen. Rechtshistorische Grundlagen und offene Rechtsfragen. Tübingen. 2004. S. 397.

[10] https://genforeningen2020.dk/deutsch/, zuletzt aufgerufen am 25. Januar 2020, um 14.00 Uhr.

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