Friedrichstadt – Fluchtpunkt an der Eider

Friedrichstadt in Schleswig-Holstein feiert in Kürze seinen 400. Geburtstag. Die kleine Stadt war als Zufluchtsort für niederländische Siedler konzipiert, die in ihrer Heimat verfolgt wurden. Die hochfliegenden Pläne des Gottorfer Herzogs konnten die Neuankömmlinge jedoch nie erfüllen – und kämpften mit vielfältigen Problemen. – Von Florian Tropp

Man kennt den Ort als „Holländerstadt“ – und das nicht von ungefähr: Wer durch Friedrichstadt schlendert, der könnte meinen, in einer niederländischen Kleinstadt angekommen zu sein. Der Mittelburggraben, eine Gracht, ist die zentrale Achse des Ortes. Flankiert wird sie von Kaufmannshäusern, fast wie an der Prinsengracht in Amsterdam. Das einzige was fehlt, sind die Unmengen an Fahrrädern.

Die Ähnlichkeit zum Nachbar im Westen ist kein Zufall, waren es doch Siedler aus den Niederlanden die zu den ersten Bewohnern dieser Ortschaft zählten. 1620 verkündete Herzog Friedrich III. einen Erlass, wonach vornehmlich Angehörige der niederländischen Remonstranten sich an der Mündung der Treene in die Eider niederlassen durften. Im Jahr darauf wurden die ersten Häuser fertiggestellt, das 400-jährige Jubiläum feiert Friedrichstadt in diesem Jahrzehnt ausführlich. Was aber versprachen der Herzog und die Siedler sich von diesem Projekt?

Friedrich verfolgte ehrgeizige Pläne: Als der junge Adlige mit 18 Jahren 1616 die Herzogswürde über Gottorf übernahm, war er bereits weit gereist und hochgebildet. Der kleine Staat sollte aus dem Schatten des übermächtigen dänischen Nachbarn treten, dessen König letztlich die Oberhoheit in Friedrichs Ländereien innehatte.

Über den Handel versuchte er sich von der Dominanz Dänemarks zu emanzipieren. Eine Expedition unter Adam Olearius entsendete er gar bis nach Russland, wo er mit dem Zaren verhandelte, danach zog er noch weiter nach Persien. Ein Handelsvertrag kam jedoch weder mit der einen noch der anderen Partei zustande.[1]

Zudem versuchte Friedrich eine Strategie Dänemarks zu kopieren; die Ansiedlung andernorts Verfolgter zum eigenen Nutzen. Der dänische König Christian IV. hatte 1617 die Gründung Glückstadts initiiert, das schnell zum Anlaufpunkt für sephardische Juden und Reformierte aus den Spanischen Niederlanden geworden war. Doch diese Toleranz darf keinesfalls mit der des 21. Jahrhunderts verwechselt werden, die Behörden versperrten einigen Gruppen gezielt den Zuzug, so etwa rigoros Katholiken.[2]

Wie auch in Glückstadt, so waren in Friedrichstadt vor allem Menschen niederländischer Herkunft als neue Untertanen seitens der Autoritäten erwünscht. Dies verwundert nicht: Von der friesischen Küste aus waren bereits seit dem Mittelalter Siedler im heutigen Schleswig-Holstein angelandet.

Dort brachten sie ihre speziellen Kompetenzen mit ein, nicht nur wirtschaftlich, sondern ebenso technologisch. Ihr Wissen um den Deichbau war vielgefragt, die Küste war von Sturmfluten schwer gepeinigt. Um 1500 gingen die Deichbauer unter holländischer Anleitung daran, nicht mehr nur defensiv zu denken, sondern durch die Küstensicherung dem Meer auch offensiv Land abzutrotzen.[3]

Für Landesherrn ergaben sich durch die Migration neue Optionen zur Machtfestigung. Einerseits konnte durch die Siedler neues Land erschlossen werden, ebenso waren die Migranten dem Staat in aller Regel treu ergeben. Dies war im Absolutismus eine hervorragende Strategie, um die eigene Macht zu stärken und alteingesessene lokale Eliten zu schwächen. Niederländer waren zudem in Handelsfragen bestens vernetzt, Niederländisch war in der Frühen Neuzeit geradezu die Alltagssprache im Nordseeraum.[4]

Durch persönliche Fürsprache einzelner Personen beim Herzog gelang in Gottorf eine schnelle Kontaktaufnahme zu religiösen Gruppierungen in den Niederlanden, die als Siedler infrage kamen. Von besonderem Interesse waren hierbei die Remonstranten, die seit 1619 Verfolgungen in ihrer Heimat ausgesetzt waren. Neben den Remonstranten versuchte man ebenso Mennoniten an Treene und Eider zu locken.

Herzog Friedrich reagierte schnell und setzte ein Schreiben („Oktroy“) auf, das die Vorzüge aufzeigte, die Migranten in Friedrichstadt genießen würden. Darunter waren so angenehme Konditionen wie zwanzig Jahre Steuerfreiheit, eine eigenständige städtische Verwaltung des Hafens und die Freiheit von Einquartierungen von Soldaten.[5]

Die Hoffnungen auf eine Belebung in den eigenen Ländereien durch Niederländer waren seitens der herzoglichen Kanzlei hoch. Dass  aber das Ziel bestanden habe, Friedrichstadt auf das Level Hamburgs zu heben, darf getrost als nachträgliche Interpretation betrachtet werden. Hamburg hatte damals bereits über 40.000 Einwohner, Kiel dagegen, die größte Stadt im Herzogtum Gottorf, knackte erst Mitte des 17. Jahrhunderts die Marke von 3.000 Einwohnern. Den meisten Würdenträgern im Herzogtum war die Hansestadt gut bekannt. Dies zeigt ein „Vergleich, bei dem die Planungskarte von Friedrichstadt in die Karte von Hamburg in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges im annähernd richtigen Größenverhältnis einkopiert wurde.“[6]

In den Niederlanden warben derweil Broschüren für die Umsiedlung nach Friedrichstadt, wer genau ihr Urheber war, lässt sich durch die Forschung heute nicht mehr mit letzter Sicherheit sagen. In Werken mit Titeln wie „Aufruf an die aufrechten Holländer zum Aufbau von Friedrichstadt“ wurde ein hymnisches Bild der neuen Siedlung gemalt und Niederländer zur Migration ermutigt.

1625 erlaubte der Herzog auch Katholiken den Zuzug nach Friedichstadt. Dem Kalkül nach sollte dies vereinfachen, engere Handelskontakte zu Spanien zu knüpfen. 1629 bezifferte der Jesuit Nicolaus Janssenius die Zahl katholischer Gläubiger in Friedrichstadt auf wenigstens 66.[7]

Der Umgang mit der in aller Regel lutherischen, alteingesessenen Bevölkerung rund um Friedrichstadt, blieb kompliziert. Nicht nur die streng lutherische Herzoginmutter Augusta misstraute ihnen, ebenso fürchteten Orte wie Husum und Tondern um ihre wirtschaftliche Prosperität. Zudem bremste der Dreißigjährige Krieg die Entwicklung der kleinen Gemeinde.

Der Volksmund dichtete abwertend über ortsfremde Siedler: „Wenn erst en Stadt op Seebüll [Friedrichstadt, d. Aut.] steht, un de Hahn in de olde Koog kreiht,/ und in de Wohld de engelsche Trommel sleit/ Wo et dann wol in Stapelholm togeiht?“[8]

Innerhalb Friedrichstadt gab es nur ein eingeschränktes Miteinander der einzelnen Gruppen, die in ihrer Heimat jeweils Minderheiten angehört hatten. Während eventuell anzunehmen wäre, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen in der alten Heimat solidarisch gedacht hätten, so ist dies klar zu verneinen. Vielmehr bestand Konkurrenzdruck zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen, die um Macht und herzogliche Anerkennung rangen. Dies lässt sich für viele Minderheiten in der Frühen Neuzeit konstatieren, die um Duldung durch Autoritäten rangen.[9]

Die Remonstranten hatten eine eindeutige Führungsrolle inne und entschieden die politischen Fragen in Friedrichstadt nach ihrem Gusto. Im Stadtrat hatten sie die komplette Dominanz und besaßen sogar das Selbstbewsstsein, der herzoglichen Kanzlei in Gottorf zu widersprechen. So etwa, als diese 1633 vorschlug, doch nun auch zwei lutherische Bürger in den Stadtrat aufzunehmen.[10]

Vereinzelt verschlug es auch Splittergruppen sektenähnlicher Charakteristik nach Friedrichstadt. So tauchte 1704 der dänische Prediger Oliger Pauli in der Stadt auf und warb für sein Verständnis der Heiligen Schrift. Der selbst ernannte Messias fand tatsächlich einige Anhänger, legte sich aber in kürzester Zeit mit sämtlichen Würdenträgern etablierter Religionen vor Ort an. Pauli zog bald weiter nach Altona, wo er jedoch aber nur vorübergehend verweilte, ehe er dort ebenfalls aneckte.[11]

Derweil konnten die hohen wirtschaftlichen Ziele nie erreicht werden. Viele Remonstranten kehrten bereits in den 1630er Jahren wieder in die Niederlande zurück, nachdem sich die dortige politische Lage zu ihrem Vorteil entwickelt hatte. Andernorts zeigte sich der fragile Zustand der religiösen Duldung: Auch in Glückstadt hatte Hoffnung auf einen Handelsvertrag mit Spanien bestanden. Als dieser nicht zustande kam, verloren die dort inzwischen ansässigen Katholiken umgehend ihre Privilegien. Ihre Bücher, Heiligenbilder und Rosenkränze mussten abgegeben werden.[12]

Zumindest in dieser Hinsicht blieb Friedrichstadt progressiver, ab 1675 kamen sogar mehr und mehr jüdische Neuankömmlinge in der Planstadt an. Nicht zuletzt, da Juden andernorts vielfach die Niederlassung untersagt war, wuchs die jüdische Gemeinde in Friedrichstadt zu einer der größten im späteren Schleswig-Holstein heran. Nachdem sie aber bereits vorher zahlreiche Mitglieder verloren hatte, endete ihre Geschichte endgültig in der Reichspogromnacht 1938, als die letzten Juden von Friedrichstadt verhaftet und deportiert wurden.

Die meisten anderen religiösen Gruppen, die im 17. Jahrhundert nach Schleswig-Holstein gekommen waren, sind heute noch in der Ortschaft präsent. Fünf Gemeinden verschiedener Konfession existieren immer noch. Für sie alle ist der 400. Geburtstag der Stadt ein willkommener Zeitpunkt, die kleine Ortschaft gut zu präsentieren. Sogar ein Musical soll anlässlich dessen aufgeführt werden.[13] Premiere soll es zum großen Jubiläum im Sommer 2021 haben.

Literatur

  • Brancaforte, Elio C. Die Visualisierung Persiens. Der Persianische Rosenthal (1654) in Wort und Bild. In: Kramer, Kirsten; Baumgarten, Jens (Hgg.). Visualisierung und kultureller Transfer. Würzburg. 2009. S. 219-237.
  • Glebe-Møller, Jens. Kommerz versus Theologie im dänischen Gesamtstaat. In: Salatowsky, Sascha; Schröder, Winfried (Hgg.). Duldung religiöser Vielfalt – Sorge um die wahre Religion. Stuttgart. 2016.
  • Jockenhövel, Klaus. Rom – Brüssel – Gottorf. Ein Beitrag zur Geschichte der gegenreformatorischen Versuche in Nordeuropa 1622-1637. Neumünster. 1989.
  • Meier, Dirk. Land unter! Die Geschichte der Flutkatastrophen. Stuttgart. 2005.
  • Menke, Hubertus. Niederländisch als Interim-, Berufs- und Prestigesprache im nordfriesischen Küstenraum zur Zeit des großen Walfangs. In: Faltings, Folkert F.; Walker, Alastair G.H.; Wilts, Ommo (Hgg.). Friesische Studien III. Beiträge des Föhrer Symposiums zur Friesischen Philologie vom 11.-12. April 1996. Odense. 1997. S. 113 – 163.
  • Schnoor, Willi Friedrich. Die rechtliche Organisation der rechtlichen Toleranz in Friedrichstadt in der Zeit von 1621-1727. Kiel. 1977.
  • Riis, Thomas. Glückstadt und Friedrichstadt. In: Fürsen, Ernst Joachim; Witt, Reimer (Hgg.). Schleswig-Holstein und die Niederlande. Aspekte einer historischen Verbundenheit. Schleswig. 2003. S. 37-49.
  • Schunka, Alexander. Sind Migranten toleranter? Religiöse Freistellung, konfessionelle Migrationen und Bekenntnispluralität im ,langen‘ 17. Jahrhundert. In: Salatowsky, Schröder (Hgg.). Duldung. S. 281-303.
  • Sutter, Sem. Friedrichstadt an der Eider. Ort einer frühen Erfahrung religiöser Toleranz, 1621-1727. Chicago. 1982.

[1] Brancaforte, Elio C. Die Visualisierung Persiens. Der Persianische Rosenthal (1654) in Wort und Bild. In: Kramer, Kirsten; Baumgarten, Jens (Hgg.). Visualisierung und kultureller Transfer. Würzburg. 2009. S. 219-237.

[2] Glebe-Møller, Jens. Kommerz versus Theologie im dänischen Gesamtstaat. In: Salatowsky, Sascha; Schröder, Winfried (Hgg.). Duldung religiöser Vielfalt – Sorge um die wahre Religion. Stuttgart. 2016. S. 183-195.

[3] Meier, Dirk. Land unter! Die Geschichte der Flutkatastrophen. Stuttgart. 2005. S. 77.

[4] Menke, Hubertus. Niederländisch als Interim-, Berufs- und Prestigesprache im nordfriesischen Küstenraum zur Zeit des großen Walfangs. In: Faltings, Folkert F.; Walker, Alastair G.H.; Wilts, Ommo (Hgg.). Friesische Studien III. Beiträge des Föhrer Symposiums zur Friesischen Philologie vom 11.-12. April 1996. Odense. 1997. S. 113 – 163.

[5] Oktroy im Wortlaut in: Schnoor, Willi Friedrich. Die rechtliche Organisation der rechtlichen Toleranz in Friedrichstadt in der Zeit von 1621-1727. Kiel. 1977.

[6] Norden, Jörn. Legenden und Wirklichkeit – eine überfällige Revision der gängigen Geschichtserzählungen über Friedrichstadt. In: Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte. H. 76. 2008. S. 5 – 97. Hier: S. 19.

[7] Jockenhövel, Klaus. Rom – Brüssel – Gottorf. Ein Beitrag zur Geschichte der gegenreformatorischen Versuche in Nordeuropa 1622-1637. Neumünster. 1989. S. 185.

[8] Schnoor. Die rechtliche Organisation. S. 62.

[9] Schunka, Alexander. Sind Migranten toleranter? Religiöse Freistellung, konfessionelle Migrationen und Bekenntnispluralität im ,langen‘ 17. Jahrhundert. In: Salatowsky, Schröder (Hgg.). Duldung. S. 281-303. Hier: S. 283.

[10] Riis, Thomas. Glückstadt und Friedrichstadt. In: Fürsen, Ernst Joachim; Witt, Reimer (Hgg.). Schleswig-Holstein und die Niederlande. Aspekte einer historischen Verbundenheit. Schleswig. 2003. S. 37-49. Hier: S. 44.

[11] Sutter, Sem. Friedrichstadt an der Eider. Ort einer frühen Erfahrung religiöser Toleranz, 1621-1727. Chicago. 1982. S. 215-218.

[12] Schnoor. Die rechtliche Organisation. S. 60.

[13] https://www.shz.de/lokales/husumer-nachrichten/ein-musical-zur-400-jahr-feier-id18024071.html, zuletzt aufgerufen am 27. Februar 2020, 15.00 Uhr.

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