
(Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/84/Isfahan_olearius.jpg)
Vor 350 Jahren starb Adam Olearius, der Universalgelehrte ist heute fast vergessen. Zu Lebzeiten war er die intellektuelle Instanz am aufstrebenden Fürstenhof in Gottorf. Sein größtes Abenteuer startete er 1633, es sollte ihn in ein fernes Land führen. – Von Florian Tropp
1800 Kilometer sind es von Schleswig nach Moskau, per Luftlinie. Bis nach Isfahan dagegen noch eine ganze Menge mehr. Die Reisegesellschaft aus Mitteleuropa, die zunächst die Hauptstadt des Zarenreichs im Sommer 1634 erreichte, war sicherlich froh, endlich Rasten zu können. Doch die etwa 120 Personen[1] hatten noch einen weiten Weg vor sich. Immer weiter trieb sie der Auftrag ihres Herzogs in Richtung Orient. Unter ihnen: Adam Olearius.
Mitte 30 war er, als für ihn das große Abenteuer begann. Er sollte derjenige sein, der die Erlebnisse literarisch verarbeiten würde. Das ehrgeizige Ziel der Expedition war es, das Herzogtum Gottorf über Persien an den Handel mit Fernost anzubinden. Manch kühner Fantast sah sogar die Chance, die auf diesem Feld übermächtigen Niederländer von ihrer dominierenden Stellung verdrängen zu können.[2]
Als Sekretär hatte Olearius die Aufgabe, den Fortgang der Reise für seinen Landesherrn zu dokumentieren. In dessen Dienst war er erst seit kurzem, er stammte nicht aus den Ländereien zwischen Nord- und Ostsee. Sein Geburtsort war Aschersleben am Rand des Harzes. Das Studium der Mathematik und Philosophie hatte er in Leipzig absolviert. Selbst für einen gebildeten Menschen wie ihn, war es ein Aufbruch ins Ungewisse.
Allzu viel war in den deutschen Landen nämlich nicht bekannt über die Regionen weit im Osten. Gut informiert waren Gelehrte und Kaufleute im Reich zwar über Vorgänge im Baltikum, denn der Weg über die Ostsee war vergleichsweise kurz. Je weiter eine Reisegruppe dann aber in Richtung Moskau oder gar Mittlerer Osten vorstieß, umso weiter gelangte sie in für sie unbekannte Gegenden. Einen ersten detaillierten Bericht über Russland hatte, ungefähr einhundert Jahre früher, der Diplomat Siegmund von Herberstein angefertigt. Er hatte im Auftrag der Habsburger mehrfach den Hof der Moskauer Großfürsten besucht und mit seinen Reiseberichten das Russlandbild im Reich maßgeblich geprägt. Viele weiße Flecken auf der Landkarte hatte er getilgt. Die Menge der im Westen namentlich bekannten russischen Flüsse und Dörfer vervierfachte sich nach Erscheinen seiner Aufzeichnungen.[3]
Nach Persien war 1628 bereits eine englische Delegation gelangt, worüber der mitreisende Gelehrte Thomas Herbert schrieb. Abgesehen davon blieben Olearius und den übrigen Reisenden nur antike Quellen, um sich grob über die Region informieren zu können. So begann im Herbst 1633 der weite Weg. Otto Brüggemann, Kaufmann aus Hamburg, und der herzogliche Rat Philipp Crusius führten das Unternehmen an. Der Aufbruch im Winter war mit Absicht gewählt worden, so konnten Strecken an Land bequem per Schlitten auf zugefrorenen Flüssen absolviert werden.[4]
Jedoch sollten sie schneller als erwartet wieder an der Schlei eintreffen: Denn sie gelangten zwar ohne Probleme an den Hof in Moskau, weiter jedoch zunächst nicht. Zar Michael forderte nämlich ein Bekräftigungsschreiben des Herzogs aus Gottorf. Als die Gruppe im Herbst 1635, mit dem Dokument im Gepäck, erneut aufbrach, kam es schon auf der ersten Etappe über die Ostsee zum Desaster: Kurz vor Erreichen von Tallinn erlitten sie Schiffbruch, die Verluste an Menschen und Material waren aber offenbar gering. Jedoch ging eine wertvolle Uhr verloren, die als Geschenk für den Hof in Isfahan bestimmt war.[5] Es sollte nicht das letzte maritime Unheil sein.
Nach einem angenehmen Aufenthalt in Moskau ging es weiter in Richtung Süden. Der Zar stellte sogar 30 Bewaffnete, die den Gottorfern Schutz bieten sollten. Gegen Seenot konnten sie jedoch wenig ausrichten; im Kaspischen Meer geriet die Mission erneut in Gefahr. Ihr eigens für sie gebautes Schiff, auf den Namen ihres Herzogs „Friedrich“ getauft, ging unwiederbringlich verloren. Schon zuvor war die Stimmung nicht gut gewesen, war es doch an Bord zu einer kurzen Meuterei gekommen. Später auf der Reise notierte Olearius auch ein Duell innerhalb der Delegation, bei dem der Schotte Thomas Craig mit dem Degen tödlich verletzt wurde.
Der letzte Abschnitt der Reise bis nach Isfahan sollte sich lange hinziehen. In zahlreichen Städten machte die Reisegesellschaft Halt. Olearius verfeinerte in dieser Zeit offenbar seine Persischkenntnisse. Der Stopp in Kaschan bot ihm zudem Gelegenheit, der Leserschaft von den Skorpionen zu berichten, die ihnen an vielen Orten im Nahen Osten begegneten. Auf der Rückreise sollte der Autor selbst direkte Bekanntschaft mit ihnen machen, als ein Tier ihn stach. Zum Glück kam er glimpflich davon, da ein Arzt im selben Raum wie er nächtigte.[6]

Endlich, nach allen Strapazen, war Isfahan erreicht. Die Gottorfer waren nicht die einzigen Europäer dort, auch andere Großmächte hatten bereits ihre diplomatischen Missionen gesandt. Dennoch ließ Schah Safi die Norddeutschen vor. Die Gespräche verliefen freundlich, übersetzt wurde von portugiesischen Augustinermönchen. Fünf Monate verbrachten sie in der Metropole, die damals eine der größten der Welt war.[7] Genaue Beschlüsse wurden offenbar nicht gefasst, der persische Machthaber entbot Herzog Friedrich aber seinen Gruß und kündigte den Gegenbesuch seiner Bediensteten an.
Kann aus damaliger Sicht und zu diesem Zeitpunkt also von einem Fehlschlag der Mission gesprochen werden? Wohl eher nicht: Der Kontakt nach Isfahan war geknüpft, der Schah, von Olearius als strenger Regent charakterisiert, war von der Gesandtschaft aus dem fernen Land offenbar angetan. Überhaupt dass die Gottorfer Gruppe, einen kleinen Staat repräsentierend, vorgelassen worden waren, war angesichts der namhaften Konkurrenz bereits ein großer Erfolg. Es folgte der weite Weg zurück in die Heimat.
Nicht alle Reisenden kehrten jedoch ins heutige Schleswig-Holstein zurück: Der Adelige Johann Albrecht von Mandelslo nutzte die Gelegenheit und reiste auf eigene Faust weiter in Richtung Fernost. Er besuchte das indische Mogulreich und verfasste einen umfassenden Reisebericht, den Olearius nach Mandelslos frühem Tod veröffentlichen sollte.
Die Zerwürfnisse wurden derweil auf der Heimreise immer größer. Insbesondere Otto Brüggemanns Führung verursachte bei seinen Mitstreitern immer wieder Irritationen. Offenbar war er, der hochfliegende Pläne rund um die Expedition verfolgt hatte, enttäuscht von dem in Isfahan Erreichten. Brüggemann versuchte gar in die lokale Politik einzugreifen und wollte einen mitreisenden Würdenträger des Zaren überzeugen, eine Region mit besonders großer Seidenproduktion dem Reich seines Herrn einzuverleiben. Olearius hatte genug gesehen, er reiste von nun an auf eigene Faust und erreichte Gottorf vor der restlichen Gruppe, die im Sommer 1639 heimkehren sollte.
Dort folgte ein juristisches Nachspiel, das die Geschehnisse rund um die vielen Probleme der Reise aufarbeitete. Im Mittelpunkt stand wiederum Brüggemann. Von ihm zeichnete auch Olearius in seinen Reiseberichten ein sehr negatives Bild. Dieser Ansicht war offenbar auch Herzog Friedrich, der den Hamburger Kaufmann zum Sündenbock erklärte. Gemäß Urteil fand er den Tod durch das Richtschwert.
Der Gegenbesuch einer persischen Delegation in Schleswig sollte keine weiteren Ergebnisse bringen, ein konkreter Deal zwischen Gottorf und Isfahan blieb Utopie. Offenbar hatten sich andere europäische Mächte schon lukrative Deals gesichert, allen voran die Niederländer. Die Seidenproduktion der Perser scheint aber auch zu gering gewesen zu sein, als dass sie für Herzog Friedrich hätte profitabel sein können.[8]
Für Olearius zahlte die Reise sich dennoch aus: In Gottorf wurde der Gelehrte mit Ehren überhäuft und konnte ungestört seinen zahlreichen intellektuellen Interessen nachgehen. Formell war er Hofmathematiker seines Herzogs. Darüber hinaus boten sich ihm zahlreiche weitere Betätigungsfelder. So gab er eine Gedichtsammlung seines früh verstorbenen Freundes Paul Fleming heraus. 1654 lieferte er sein mathematisches Meisterstück: Er konstruierte einen von innen begehbaren Globus mit über drei Metern Durchmesser.
Olearius‘ Begeisterung für Persien blieb, trotz aller Entbehrungen auf dem Zug nach Osten, auch danach weiterhin stark. So übersetzte er die Gedichtsammlung „Golestan“ des persischen Dichters Sa’Di aus dem 13. Jahrhundert, was für seine hervorragenden Sprachkenntnisse spricht. Als Goethe, knapp 200 Jahre später, seine Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ verfasste, ließ er sich zunächst von Olearius‘ Werken über Persien inspirieren.[9]
Der Dichterfürst aus Weimar stand mit seiner Wertschätzung der orientalischen Reisebeschreibung nicht alleine da. Die „Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste“ von 1832 beschrieb das literarische Ergebnis der Gottorfer Reise immer noch als Standardwerk über Persien.[10]
Literatur:
- Berry, Brian J. L. Urbanization. In: Marzluff, John M. et al. (Hgg.). Urban Ecology. An international perspective on the Interactions between Humans and Nature. Washington. 2008. S. 25-49.
- Brancaforte, Elio C. Die Visualisierung Persiens. Der Persianische Rosenthal (1654) in Wort und Bild. In: Kramer, Kirsten; Baumgarten, Jens (Hgg.). Visualisierung und kultureller Transfer. Würzburg. 2009. S. 219-237.
- Geier, Wolfgang. Russische Kulturgeschichte in diplomatischen Reiseberichten aus vier Jahrhunderten. Sigmund von Herberstein, Adam Olearius, Friedrich Christian Weber, August von Haxthausen. Wiesbaden. 2004.
- Ed. Haberland, Detlef. Olearius, Adam. Moskowitische und persische Reise. Die holsteinische Gesandtschaft beim Schah 1633 – 1639. Stuttgart, Wien. 1987.
- Olearius, Adam. Offt begehrte Beschreibung Der Newen Orientalischen Rejse. Schleswig. 1647.
- Osterhammel, Jürgen. Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert. München. 1998. Neuauflage 2010.
- Schilling, Heinz. 1517. Weltgeschichte eines Jahres. München. 2017.
- Schmitz, Manfred-Guido. Der „Fall Otto Brüggemann“. Die Hinrichtung des Hamburger Kaufmanns im Spiegel der „Orientalischen Reise“ von Adam Olearius (1647). Nordstrand. 2011.
- Strack, Thomas. Exotische Erfahrung und Intersubjektivität. Reiseberichte im 17. Und 18. Jahrhundert. Adam Olearius – Hans Egede – Georg Forster. Paderborn. 1995.. 2006.
[1] Geier, Wolfgang. Russische Kulturgeschichte in diplomatischen Reiseberichten aus vier Jahrhunderten. Sigmund von Herberstein, Adam Olearius, Friedrich Christian Weber, August von Haxthausen. Wiesbaden. 2004. S. 71.
[2] Ed. Haberland, Detlef. Olearius, Adam. Moskowitische und persische Reise. Die holsteinische Gesandtschaft beim Schah 1633 – 1639. Stuttgart, Wien. 1987. S. 19.
[3] Schilling, Heinz. 1517. Weltgeschichte eines Jahres. München. 2017. S. 78.
[4] Ebd. S. 70.
[5] Ed. Haberland. Moskowitische und persische Reise. S. 25.
[6] Olearius, Adam. Offt begehrte Beschreibung Der Newen Orientalischen Rejse. Schleswig. 1647. S. 372.
[7] Im Jahr 1700 lebten in Isfahan schätzungsweise 350.000 Personen, Hamburg hatte zeitgleich erst eine Einwohnerzahl von 63.000. Siehe: Berry, Brian J. L. Urbanization. In: Marzluff, John M. et al. (Hgg.). Urban Ecology. An international perspective on the Interactions between Humans and Nature. Washington. 2008. S. 25-49. Hier: S. 27.
[8] Brancaforte, Elio C. Die Visualisierung Persiens. Der Persianische Rosenthal (1654) in Wort und Bild. In: Kramer, Kirsten; Baumgarten, Jens (Hgg.). Visualisierung und kultureller Transfer. Würzburg. 2009. S. 219-237. Hier: S. 223.
[9] Osterhammel, Jürgen. Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert. München. 1998. Neuauflage 2010. S. 143.
[10] Ed. Haberland. Moskowitische und persische Reise. S. 25.