Händel am Gänsemarkt

Nach über zehn Jahren Bauzeit wurde am 11. Januar 2017 die Hamburger Elbphilharmonie eröffnet. Sie setzt damit die Tradition Hamburger Konzerthäuser fort, die schon im 17. Jahrhundert am Gänsemarkt begann. Dort wirkte auch der junge Georg Friedrich Händel. Beinahe hätte seine junge Karriere bereits dort auch ihr Ende genommen.  – Von Florian Tropp

Die Werke von Georg Friedrich Händel sind auch heute noch jedem ein Begriff. Ob der Chor aus dem Messias oder die britische Coronation Anthem, die in abgewandelter Form vor jeder Partie der Fußball Champions League gespielt wird. Händel, der sich von Halle aus in die Welt aufmachte und vor allem in London für Furore sorgte, gilt nach wie vor als einer der bedeutendsten Musiker des Geschichte.

Bevor Mozart und Beethoven die Bühne betraten, war Händel für die damalige Musikwelt  der größte Komponist aus dem deutschsprachigen Raum. Der Literaturhistoriker Johann Joachim Eschenburg schrieb im Jahr 1785: „Unter den vielen grossen musikalischen Genies, auf deren Hervorbringung unsere Nazion [sic] mit Recht stolz sein kan, verdient Händel, in Rücksicht auf den Umgang seiner Talente, unstreitig den ersten Rang.“[1]

Mit Hamburg würde man den Komponisten eher weniger verbinden. Und tatsächlich, man sucht dort fast vergeblich nach seinen Spuren. Weder eine Gedenktafel noch ein Denkmal erinnert in der Hansestadt an das Wirken des gebürtigen Sachsen. Immerhin: Die Staats- und Universitätsbibliothek ist im Besitz des bekanntesten Porträts von Händel, das der Brite Thomas Hudson anfertigte.[2] Es ist bezeichnend, dass es nicht prominent im Foyer hängt, sondern versteckt in einem Treppenhaus, das in den 2. Stock führt.

Die Idee einer Oper für Hamburg

Zugegebenermaßen: Händel war noch nicht der spätere „Weltstar“, zu dem er bis Mitte des 18. Jahrhunderts reifen sollte. Gerade einmal 18 Jahre ist der junge Musiker aus Halle alt, als er Anfang Juli 1703 in der Hansestadt eintrifft. Hamburg war, was im Rückblick verwundern mag, ein logisches Ziel für Händel. Die Oper am Gänsemarkt war das erste Konzerthaus im deutschsprachigen Raum, welches dem kulturellen Ideal nacheiferte, das in Italien schon seit Längerem zelebriert wurde.

Ein Hamburger Ratsherr hatte die Idee mit in seine Heimatstadt gebracht: Gerhard Schott war es, der auf Reisen durch Europa diese Kunstform entdeckt hatte und fortan in der Hansestadt für eine gleichartige Einrichtung warb. Ermuntert wurde er dabei auch von Christian Albrecht von Schleswig-Holstein-Gottorf, der über weite Gebiete des heutigen Schleswig-Holsteins herrschte. Der kulturbeflissene Herzog, der auch die Gründung der nach ihm benannten Universität in Kiel initiiert hatte, schickte sogar seinen Kapellmeister Johann Theile nach Hamburg, um dort Aufbauarbeit zu leisten.

Es waren turbulente Zeiten für Hamburg, kulturell wie auch politisch. Schnell opponierten die religiösen Wortführer in der Stadt gegen das „sündige“ Spiel auf der Opernbühne. Kunst hatte in jenem Zeitgeist noch den Sinn der Gottgefälligkeit, auch Händel war bislang durch Kirchenmusik geprägt worden.

Die Reformatoren hatten ihrer Kirche allen katholischen Schmucks beraubt; es blieb einzig die Musik, um Gott zu verherrlichen. Luther war der Musik in diesem Zusammenhang von Anfang an aufgeschlossen gewesen, ebenso die meisten anderen Reformatoren. Einzig der Zürcher Zwingli war so radikal, dass er jegliche Musik aus der Liturgie verbannte.[3]

Auch weltliche Unruhen erschütterten die Hansestadt: In den 1680er Jahren übernahmen die Hamburger Kaufleute Cord Jastram und Hieronymus Snitger kurzzeitig die Macht in der Stadt und vertrieben sogar den Bürgermeister. Die Schwäche Hamburgs blieb auswärtigen Mächten nicht verborgen und kurzzeitig belagerte der dänische König die Hansestadt, ehe eine Koalition seine Truppen wieder vertrieb. Jastram und Snitger wurden unter aufsehenerregenden Umständen enthauptet.

Mag Gott die Oper?

In all diesem Chaos versuchten die Betreiber der Oper am Gänsemarkt seit 1678 einen geregelten Betrieb am Laufen zu halten. Die Intendanten bemühten sich mit dem Programm, dem pietistischen Zeitgeist entgegenzukommen und möglichst viele religiöse Stücke zu zeigen. Dennoch bahnte sich schnell ein Konflikt an, denn selbst das frömmelnde Bühnenprogramm ging pietistischen Vorkämpfern zu weit. Ihr Wortführer war Pastor Anton Reiser, der in seinem Pamphlet Theatromania die vermeintliche Dekadenz seiner Zeit aufs Schärfste kritisierte.

Sein wichtigster Gegenspieler war – im lutherischen Hamburg merkwürdig genug – der katholische Opernsänger Christoph Rauch, der mit der Schrift Theatrophania Reiser entgegentrat. Rauch führte zunächst aus, dass auch die Tätigkeiten, die nicht von vornherein als nützlich erachtet würden, ihren Ursprung im Wirken Gottes hätten. Die Oper aber habe Gottes Wohlwollen, da sie der Erquickung der menschlichen Natur und damit der Schöpfung selbst diene.[4]

Im Jahr 1686 fanden am Gänsemarkt kurzzeitig aufgrund eines Verbots keine Aufführungen statt. Schon nach wenigen Wochen aber konnte der Spielbetrieb fortgesetzt werden und das Konzerthaus florierte. Obwohl die Oper immer wieder mit verschiedenen organisatorischen Problemen zu kämpfen hatte, entschied sich Händel im Sommer 1703, nach Hamburg überzusiedeln.

Ein ambitionierter Musiker auf dem Weg nach oben

Was ihn wirklich dazu bewog, ist bis heute umstritten. Möglicherweise wollte er einer gewissen gesellschaftlichen Enge Halles entkommen. Ohne Frage ist es typisch für ihn, dass er der Nachwelt hier Fragezeichen hinterließ; Händel liebte es, seine Biografie mit unlogischen Brüchen zu garnieren.[5]

Unbestritten ist hingegen, dass für ihn der junge Musiker Johann Mattheson zu einer engen Bezugsperson wurde. Der gebürtige Hamburger war vier Jahre älter als Händel und entstammte privilegierten Verhältnissen. Mattheson war universal gebildet, beherrschte mehrere Fremdsprachen und zahlreiche Instrumente. Dem notorischen Vielschreiber Mattheson verdankt die Nachwelt einen Großteil des Wissens um Händels Wirken in Hamburg.

Nachdem sich beide im Juni 1703 begegnet waren, entwickelten sie offenbar ein gutes Verhältnis zueinander, musizierten gemeinsam und reisten in Norddeutschland umher. Dazu hatten sie auch genug Zeit: Die Oper war den Sommer über geschlossen. Unter Leitung eines der berühmtesten Musikschaffenden jener Zeit, Reinhard Keiser, debütierte Händel dann am 27. August als zweiter Violinist in Keisers Werk Die Geburt der Minerva.

Mattheson schätzte offenbar Händel, bemerkte aber auch musikalische Ungeschliffenheiten bei seinem jungen Kollegen. Händels Metier war bis dahin vornehmlich die Kirchenmusik gewesen, an Stil und Musizierweise der Oper musste er sich erst noch gewöhnen.[6]

Anfang 1704 schloss die Oper auf Senatsbefehl vorübergehend erneut. Ursache mag weniger Naserümpfen der Senatoren über gotteslästerliches Spiel, sondern vielmehr ein finanzieller Engpass gewesen sein. Händel war besorgt über die Stagnation in der Hansestadt, zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes musste er Musikschüler unterrichten. Mattheson reiste derweil durch die Niederlande.

Ohne Zutun aller Musiker der Oper und Überzeugungsarbeit vor dem Senat, so Händels Furcht, würde sich am Status quo nichts ändern. Ohne Konzentrierung aller Kräfte des Ensembles würde „man ohne deren Gegenwart nichts bey den Opern wird vornehmen können“, so Händel im März 1704 in einem Brief an Mattheson.[7]

Dies Irae

Die prekäre Lage an der immer wieder geschlossenen Oper in Hamburg verschärfte bald das Verhältnis der beiden Musiker zueinander. Sie kämpften um ein geregeltes Einkommen – und Mattheson versuchte offenbar Händel zeitweise das Wasser abzugraben. So machte Mattheson, der fließend Englisch sprach und mit der englischen Philosophie des Sensualismus vertraut war,[8] dem Neuhamburger seine Position als Musiklehrer im Haus des englischen Gesandten John Wich streitig.

Aus einer beruflichen Partnerschaft wurde schnell ein Konkurrenzkampf, der schließlich in spektakulärer Form eskalierte. Mattheson selbst berichtete 1740 in seinem Werk „Grundlage einer Ehren-Pforte“, in welchem er bekannte Musiker seiner Zeit porträtierte, von den Vorgängen.

Am 5. Dezember 1704 standen beide gemeinsam auf der Bühne, als Matthesons Oper Die unglückselige Cleopatra  aufgeführt wurde. Mattheson selbst stellte Marcus Antonius dar, Händel saß derweil am Cembalo und hatte zugleich die Leitung des Orchesters inne. Da Marcus Antonius laut Libretto etwa eine halbe Stunde vor Ende der Oper Selbstmord begeht, war Mattheson es gewohnt danach wieder die Leitung zu übernehmen. Händel aber dachte gar nicht daran.

Die beiden jungen Männer gerieten aneinander und zankten auf der Bühne heftig, angestachelt vom Publikum, das sich offenbar trotz Abbruch des Singspiels bestens unterhalten fühlte. Der Streit verlagerte sich vor die Tore der Oper, wo Mattheson Genugtuung forderte und gegen Händel den Degen zum Duell erhob.

Die Vorgänge wurden von Mattheson kräftig ausgeschmückt und es darf bezweifelt werden, dass die Ereignisse sich wirklich dermaßen dramatisch zuspitzten, wie von ihm geschildert: Durch pures Glück sei es gekommen, dass „die Klinge im Stoffen auf einem breiten, metallenen Rockknopf des Gegners, zersprungen wäre.“[9] Die beiden Streithähne konnten ihren Zwist kurz darauf beilegen. Insbesondere Händel konnte sich auch keine Fehde leisten: Er steckte mitten in den Vorbereitung zur Uraufführung seiner ersten Oper Almira. Sie wurde ein glänzender Erfolg.

Hamburg war Händel schnell zu klein geworden. Durch Studium der Musizierweise an der Oper am Gänsemarkt hatte er Gefallen an dieser Form der Musik gewonnen. Auch seine zweite Oper, Nero, wurde begeistert aufgenommen. Schon bald sehnte er sich nach Italien, dem Heimatland der Oper, wo er seine Kenntnisse weiter verfeinern wollte. Als die Medici ihn einluden, musste er nicht lange überlegen.

Während Händels Karriere große Schritte machte, brachen für die Oper am Gänsemarkt und Johann Mattheson schwere Zeiten an. Georg Philipp Telemann gelang es noch einige Jahre einen geregelten Spielbetrieb zu organisieren, ehe 1738 endgültig der letzte Vorhang fiel. Mattheson hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon lange aus dem Operngeschäft zurückgezogen: Eine beginnende Taubheit zwang ihn, seine Tätigkeit als Musiker aufzugeben.[10]

Im Alter blickte er dann kritisch auf den jungen Konkurrenten, mit dem er einst auf Augenhöhe gewesen war. Händel habe es mit der Oper zu weit getrieben und sei zu sehr dem Laster anheimgefallen, so der verbitterte Mattheson.[11] Dennoch publizierte er 1761 die deutsche Übersetzung der Händelbiografie John Mainwarings; Matheson starb 1764.

Auch nachdem Händel Hamburg im Jahr 1706 verließ, blieb die Hansestadt für sein Wirken wichtig. Telemann hielt Kontakt zu Händel und hatte maßgeblichen Einfluss darauf, dass seine in London uraufgeführten Werke schon kurz darauf auf dem Kontinent Verbreitung fanden.[12] Es bleibt die abschließende Frage: Wird die Elbphilharmonie wie ihr Urahn am Gänsemarkt auch Musiker vom Range eines Händel hervorbringen?

Literatur:

  • Eschenburg, Johann Joachim. Deutsches Museum. 1776-88. 1785, Bd. 1 , S. 133 – 142.
  • Hofmann, Dietmar. Verkündigung des christlichen Glaubens durch geistliche Musik. Dargestellt an der Totenliturgie. Münster. 2004.
  • Krieger, Martin. Patriotismus in Hamburg. Identitätsbildung im Zeitalter der Frühaufklärung. Köln, Weimar, Wien. 2008.
  • Lütteken, Laurenz. „Stolzer Britten Ruhm“ – Händels Weg nach England. In: Marx, Hans Joachim; Sandberger, Wolfgang (Hgg.). Göttinger Händel-Beiträge. Bd. 12. Göttingen. 2012. S. 1-17.
  • Maertens, Willi. Händels Freundschaft zu Telemann. In: Marx, Hans Joachim (Hg.). Händel und Hamburg. Ausstellung anlässlich des 300. Geburtstages von Georg Friedrich Händel. S. 109-117.
  • Marx, Hans Joachim. Händels Beziehung zu Johann Mattheson. In: Ders (Hg.). Händel und Hamburg. Ausstellung anlässlich des 300. Geburtstages von Georg Friedrich Händel. S. 63-85. Hamburg. 1985.
  • Mattheson, Johann. Grundlage einer Ehren-Pforte. Woran der tüchtigsten, Capellmeister, Componisten, Musikgelehrten, Tonkünstler &c. Leben, Wercke, Verdienste &c. erscheinen sollen. Hamburg. 1740. Neudruck 1910.
  • Sdzuj, Reimund B. Adiaphorie und Kunst. Studien zur Genealogie ästhetischen Denkens. Tübingen. 2005.

[1] Eschenburg, Johann Joachim. Deutsches Museum. 1776-88. 1785, Bd. 1, S. 133 – 142. Hier: S. 132.

[2] https://www.sub.uni-hamburg.de/bibliotheken/ueber-uns/kunst-in-der-bibliothek.html

[3] Hofmann, Dietmar. Verkündigung des christlichen Glaubens durch geistliche Musik. Dargestellt an der Totenliturgie. Münster. 2004. S. 6.

[4] Sdzuj, Reimund B. Adiaphorie und Kunst. Studien zur Genealogie ästhetischen Denkens. Tübingen. 2005. S. 255.

[5] Lütteken, Laurenz. „Stolzer Britten Ruhm“ – Händels Weg nach England. In: Marx, Hans Joachim; Sandberger, Wolfgang (Hgg). Göttinger Händel-Beiträge. Bd. 12. Göttingen. 2012. S. 1-17. Hier: S. 10.

[6] Marx, Hans Joachim. Händels Beziehung zu Johann Mattheson. In: Ders (Hg.). Händel und Hamburg. Ausstellung anlässlich des 300. Geburtstages von Georg Friedrich Händel. S. 63-85. Hamburg. 1985. Hier. S. 66.

[7] Ebd. S. 67.

[8] Lütteken. „Stolzer Britten Ruhm“. In: Marx, Sandberger (Hgg.). Göttinger Händel-Beiträge. Bd. 12. S. 12.

[9] Mattheson, Johann. Grundlage einer Ehren-Pforte. Woran der tüchtigsten, Capellmeister, Componisten, Musikgelehrten, Tonkünstler &c. Leben, Wercke, Verdienste &c. erscheinen sollen. Hamburg. 1740. Neudruck 1910. S. 95.

[10] Krieger, Martin. Patriotismus in Hamburg. Identitätsbildung im Zeitalter der Frühaufklärung. Köln, Weimar, Wien. 2008. S. 40.

[11] Marx. Händels Beziehung zu Johann Mattheson. In: Ders (Hg.). Händel und Hamburg. S. 71.

[12] Maertens, Willi. Händels Freundschaft zu Telemann. In: Ebd. S. 109-117. Hier: S. 114.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: